Nach dem Abdanken Bismarcks
Zwei Stunden vor der Abfahrt aus Wuppertal bricht plötzlich die Sonne durch, und ich gehe mit H. und T. für einen kleinen Spaziergang auf die Hardt. Am Krankenhaus vorbei, das selbst krank zu sein scheint: auch hier wie überall Verfallserscheinungen: der Eingang baunetzversperrt. Plötzlich vor uns Gebimmel und eine absonderliche Prozession: vielleicht zwanzig Katholiken ziehen, mit einem Geistlichen im Ornat und unter einem von vier Leuten in Zivil getragenen Baldachin (!), über Megafon ein Vaterunser abbetend, den Weg vor uns hinauf. Sie biegen irgendwo ab, aber wir hören das Gebet auf dem Hardtfelsen noch mehrmals herüberwehen.
Wir lesen ein paar historische Hinweistafeln und schlängeln uns zum Steinturm hinauf. Das Bismarckflammenturmdenkmal von 1904 ist plastisches Zeugnis für die dumpfe, grobe, gewalt- und selbstgebasteltes Germanentum glorifizierende und selbstherrliche Grobschlächtigkeit der wilhelminischen Epoche: einfach widerwärtig. Dagegen zum Glück siegreich und entspannt allgegenwärtig das helle Grün des erratischen Frühlings, Magnolien, Kirschbäume. Wir lassen uns bergab Richtung Botanischer Garten treiben, wo im Café Elise eine hübsche D. unsern Gruß entgegennimmt und gut über mich Bescheid zu wissen scheint. Merkwürdig, denke ich, dass hier in diesem Kaff jemand etwas von mir weiß, den ich noch nie gesehen habe.
Dieser unerschütterliche alljährliche unbegründete Optimismus des Frühlingsgrüns, dieses von etwas, das in Pflanzen den Hormonen entsprechen muss, ausweglos ausgelöste Blattwachstum, das die Botanikflächen so drastisch verändert, von dunkel und winterkahl und starrbizarr zu bunt, froh, lichtverbunden, fedrig (gefiedert?), weich: schier überwältigend. In der Sonne auf der kleinen Terrasse mit dem über hundertjährigen Gusseisengeländer unter dem hübschen Elisenturm, dem älteren Gruß nach Berlin (es geht auch soft, Deutschland) – plötzlich ist dieser Flecken dermaßen in Ordnung und wunderbar in dieser abgewrackten Stadt, in der hübsche junge Frauen florierende Cafés betreiben neben ebenfalls hübschen, aber städtisch verwalteten Kakteenglashäusern und historischen Feuertürmen und in der große Freundeskreise mit Showeinlagen ihre alternden Freunde feiern und dabei größeres Publikum und mehr Elan bereitstellen als mit Senatsmittel geförderte Kiezlesungen in der Bundeshauptstadt.
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