Himmel über Berlin
Das Freilichtkino Friedrichshagen zeigte letzte Woche eine arg verbeulte Kopie von Wim Wenders’ Himmel über Berlin. Wann ich diesen Film zuletzt gesehen hatte, kann ich nicht mehr erinnern, aber ihn jetzt wieder zu sehen, im für einen Film doch reifen Alter von fünfundzwanzig Jahren, war ein Erlebnis. Von der einfachen Handlung hatte ich nahezu nichts mehr im Sinn. Engel begleiten die Menschen in Berlin bei all ihrem Tun, beobachtend, protokollierend, zur Handlung unfähig, allein zum Hoffnunggeben und Trostspenden geeignet. Das ist Engel Damiel nicht mehr genug, er genießt wohl die rein geistige, in Schwarz-Weiß dargestellte Existenz der Engel, trägt aber immer schwerer an der Sehnsucht nach der sensorischen, um nicht zu sagen sinnlichen Existenz der Menschen.
Der Film lässt sich denn auch in zwei Teile teilen, vor und nach der Menschwerdung des Engels. Diese geschieht sozusagen ruckweise. Es gibt mehrere Momente, wo sich schon die Farbe der Menschenwelt ins ansonsten schwarz-weiße Bild schleicht, noch ehe der Engel einen Körper hat. Peter Handkes Texte schenken vor allem dem ersten Teil eine wunderbare Poesie, wenn das Gewirr der menschlichen Gedanken beim geflügelten Engeltagwerk hörbar wird. Damiels Monolog an den Engel-Kollegen Cassiel (in melancholischer Größe: Otto Sander) darüber, wie herrlich die physischen Wahrnehmungen der Menschen sein müssen und wie satt er doch die rein geistige, bloß schauende Existenz der Engel hat, ist lesbar als die Sehnsucht des Autors nach Teilhabe am Sozialwesen. Die Literatur ist doch recht eigentlich eine einsame, geistige Tätigkeit, der Körper mag eher vom Schreibtisch wegzerren mit seinen Bedürfnissen, und der Schriftsteller wie der Engel mag die Menschen um ihr nichtreflektiertes Erleben beneiden. Die Engel, die in der Staatsbibliothek den Studenten beim Lernen hilfreich über die Schulter sehen, lungern denn auch am Ende des Tages, untätig ohne Menschen, in dieser Gruft des Geistigen herum wie Vampire, die ebenfalls auf das Lebendige am Menschen angewiesen sind, um zu existieren. Sie schweigen untereinander, als hätten sie sich alles gesagt. Schon seit Ewigkeiten. Sie wirken erhaben und traurig zugleich. Der Preis geistigen Lebens.
Ein Vierteljahrhundert nach der Entstehung des Films hat sich auch Berlin grundlegend verändert. Geradezu erschütternd die Bilder von Curt Bois als Greis Homer, der den Potsdamer Platz auf dem Potsdamer Platz sucht, wo sich Ende der Achtziger eine unkrautbewachsene Brachfläche vor der Grenzmauer erstreckt. Die zeitliche Distanz von heute zum Entstehungsdatum des Films nähert sich unaufhaltsam jener zeitlichen Distanz von dort zu den katastrophischen Momenten im Film an, als während der Bombardierungen und des Kampfes um Berlin in den Vierzigern der alte Potsdamer Platz zerstört wurde. Jene Homerfigur, aber auch der Ewigkeitsblick des Engels zeigt uns die verheerenden Erlebnisse der Berliner im Krieg. Und heute, 2012, ist der Platz schon fünfzehn Jahre lang wieder da. Anders natürlich. Schokoladen-Hamann bleibt verschwunden. Das macht, besonders in den engelhaften Kameraflügen, Berlin 1987 umso mehr zur historischen Stadt, als die Versuche des Films, das damals Heutige einzufangen – die Kreuzberger Szene in Westberlin, sogar auch ein bisschen Berlin, Hauptstadt der DDR, (als die beiden Engel das unbeschreibliche Privileg haben, körperlos durch die Mauer zu gehen) -, genau das am Heute abbilden, was am schnellsten gestrig wird. An der Lohmühlenbrücke gleich hier um die Ecke steht im Film noch die Mauer, und das Haus, welches dahinter aufragt, steht auch jetzt noch. Diese Szene müssen meine Kinder sehen, für die der zweite Weltkrieg in derselben Vergangenheitsfläche liegt wie die Berliner Mauer und ihr Fall.
Wunderbar zeitlos ist die Entscheidung, Damiel mitten auf dem Grenzstreifen, zwischen den beiden Deutschland, als Mensch zur Welt kommen zu lassen. Freund Kassiel schleppt ihn gerade noch zur East-Side-Gallery, wo er dann auch viel besser von einem Passanten die neuen Farben lernen kann als auf der DDR-Seite dieses Monsterbauwerks.
Nicht wirklich zu Ende gebracht scheint der Erzählstrang, in dem auch Peter Falk (als Peter Falk) mitspielt. In Berlin soll ein Film gedreht werden, Falk ist der Filmstar. Man sieht davon nur die Nazikostüme der Schauspieler sowie Stunteinlagen am Drehort, natürlich unterirdisch in einem Bunker. Was da gedreht wird, welche Rolle Falk dabei spielen soll, bleibt unklar. Sehr schön allerdings die Szene, in der deutlich wird, dass Damiel mit seiner Sehnsucht nach Fleischwerden durchaus nicht allein ist, war doch Falk selbst mal ein Engel und kennt die Situation. There are many of us, sagt er zu Bruno Ganz alias Damiel. Noch schöner, dass er dann an der Würstchenbude später die Routine der Kontaktaufnahme mit dem Engel aus einer früheren Szene wiederholt, nur diesmal ohne Engel. Sehen kann er sie eben doch nicht, und auch nicht spüren, wie er behauptet. Das können, ganz selbstverständlich, allein die Kinder.
Der Film scheint sich vom Handke-Poesiefilm zu Wenders-Musikfilm zu entwickeln, wenn Damiel schlussendlich noch einem Nick-Cave-Konzert zuhören darf, wo er eigentlich seine Angebetete sucht. Leider scheinen Wenders und Handke, also Bild und Wort, in der letzten Szene am Tresen nicht mehr zusammengekommen zu sein. Handkes Worte als Marions/Dommartins Text wirken endlos. Ganz hat in der statischen Einstellung so wenig zu spielen, dass das Weinglas beim Überreichen geradezu zum Gral wird, und Ganz scheint während des langen Monologs zur darauf zu warten, dass sie aufhört zu sprechen, damit er sie endlich endlich küssen kann.
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