Eve Leighs VERBRANNTES LAND in Wien

Ein Stück von Eve Leigh, Salty Irina, hat Regisseur Tobias Herzberg beim Festival in Edinburgh so begeistert, dass er es nun am Schauspielhaus Wien inszeniert. Wie schon Eves weitere Stücke Midnight Movie und Flächenbrand übersetze ich den Text ins Deutsche. Er erzählt die Geschichte von Eireni und Anna, die auf die riskante Idee kommen, die Nachforschungen zu fremdenfeindlichen Morden in ihrer Nachbarschaft selbst in die Hand zu nehmen und sich der rechten Szene in Verkleidung zu nähern.
Für die deutschsprachige Erstaufführung in Wien freue ich mich, auf großzügige Einladung des Theaters an der Konzeptionsprobe teilnehmen zu dürfen. Diese Phase ist immer eine wunderbare Gelegenheit, den Text zu überprüfen, wenn das Produkt meiner Schreibtischarbeit in die Körper der Schauspielerinnen fährt und sie es durchkauen, in Frage stellen, genießen, modulieren, artikulieren und mit einer Haltung füllen. Dann zeigt sich, wie die angelegten Sprechweisen als Hinweise auf die Figurenanlage gelesen werden, ob der Text eine Figur vielleicht schärfer gegen die andere kontrastieren könnte, ob meine Interpretation zu gewagt ist oder es mehr Spielraum gibt. Immer wieder entlarvt die Leseprobe, bei der ich das Stück zum ersten Mal in Gänze laut vorgestellt bekomme, auch meine eigenen Manierismen, vielleicht den Übergebrauch einiger Begriffe, falsche, aber auch gelungene Umgangssprache. Je nach Besetzung entfaltet sich die Figur vielleicht zwar stark, aber anders, als ich sie sprachlich angelegt habe.
Wir bemerken in unseren Vorgesprächen den Versuch der Autorin, einer Inszenierung in Deutschland bereits entgegenzukommen und die Figuren vage von „im Norden“ oder „im Süden“ sprechen zu lassen. Das funktioniert, wie Tobias richtig bemerkte, möglicherweise auf der britischen Insel, in Deutschland passt aber eine Wendung wie „ihr Leute aus dem Süden“ nicht so richtig, während der Norden als Bezugsregion schon eher gläufig ist. Auch auf eine Küstenregion und ihren trockenen Humor wird Bezug genommen. Das kann man wiederum in Österreich, das seinen letzten Zugang zum Mittelmeer 1918 verlor, vergessen, beziehungsweise bedeutet das, dass das Stück nicht in Österreich spielt.
Das Stück verwendet Vokabular aus dem Diskursraum um migrantische und feministische/lesbische Themen. Hier freue ich mich über Gespräche mit Kolleg:innen und auch mit dem Inszenierungsteam über die sachlich und fachlich korrekten Begrifflichkeiten. Auch Vorschläge, bestimmte Slogans nicht zu übersetzen, helfen mir im Graubereich der englischen Sprache im Deutschen.
Wir stoßen auch auf Fragen, die wir an die Autorin zurückgeben müssen, da es sich um Entscheidungen in der Anlage der Figuren oder des Textes handelt, mit denen wir unangemessen in ihre Arbeit eingreifen würden. Die im Englischen titelgebende Textstelle zum Beispiel bleibt lange Diskussionsgegenstand zwischen Verlag, Übersetzer, Regie und Autorin. Zum Glück ist Eve sehr gern an auch detaillierten Erörterungen beteiligt und hat so ja auch die Möglichkeit, ihren Text in der neuen Inszenierungssituation noch einmal zu überprüfen und anzupassen.
Denn da Eve ebenfalls für die ersten beiden Proben in Wien anwesend ist, hören wir vom gesamten Team, was uns selbst glücklich macht: Wir können nicht nur zahlreiche Fragen, die wir mitgebracht haben, sofort stellen und Lösungen vereinbaren; darüber hinaus fallen uns in den Gesprächen überhaupt erst Dinge auf, die wir in unseren separaten Arbeitssituationen nicht erkannt haben. Es stellt sich auf die erfreulichste Weise heraus, dass das Stück deutlich vielschichtiger ist, als wir jeweils beim Lesen erkannt haben. Hin und wieder stolpern wir über falsch verstandene Bezüge zwischen den Ebenen und Situationen. Die Erzählsituation und dazu das Undercover-Manöver zusammen mit der spannenden, aber auch immer wieder unausgesprochenen Verliebtheit der beiden jungen Frauen schafft ein heikles Geflecht aus Vieldeutigkeit, das die Schauspielerinnen auseinanderklabüsern müssen, um es später plastisch spielen zu können.
Wir bekommen ein subtileres, feineres Bild der oft nur in einem Wort angedeuteten Situationen. So werden die Bewohner des besetzten Hauses „suspicious“ auf eine Äußerung von Anna hin. Ich lese da „Misstrauen“ hinein, weil sie vielleicht in der politisch illegalen Situation ein Spitzel in die linke Szene hinein sein könnte. Tatsächlich werden sie aber nur „vorsichtig“, weil sich die junge Frau vielleicht mit ihrer „dramatischen“ Art auf einen zu dünnen Ast wagt. Wir erhalten von der Autorin überhaupt einiges Material über die Backstorys der Figuren in einem Land, das sie als extrem klassenbewusst und exklusiv der Klassen untereinander wahrnimmt. Und das muss dann auch für die deutsche Fassung stimmen. Wie werden hier Sprachcodices verwendet, um Menschen voneinander abzugrenzen und auszuschließen? Die Autorin wiederum merkt, dass sie die körperliche Gefahr, in die sich die Frauen begeben, durch ein paar Halbsätze noch präsenter und bewusster machen und so einen weiteren Bogen zum Ende des Stücks hin schlagen kann. Und aus den Fragen der Schauspielerinnen erkennt sie, dass an einer Textstelle doch noch eine kleine Erklärung helfen kann. Auch den Schluss konnte sie (und ihc mit ihr) so ändern, dass die Inszenierung auch im Deutschen die richtige Schlussnote zu geben. Wir sehen also auch sie bei der Arbeit.
Einige Änderungen fließen nach Absprache mit der Autorin in eine Verlagsfassung (vertreten von Rowohlt Theater) für weitere Inszenierungen ein. Andere Änderungen werden nur in Wien zu sehen sein, während ich in der Verlagsfassung meine Entscheidung beibehalte. Dieser Vorgang ist immer sehr spannend, weil jede Entscheidung noch einmal gründlich überprüft werden kann. Das gelingt nur gemeinsam, im Dialog. Wenn der Text bestmöglich gelingen soll, empfiehlt es sich, die Übersetzerin oder den Übersetzer als Teil des Teams zu betrachten und diese Expertise als Ressource zu nutzen. Auch ich kann dann meine Entscheidungen zugunsten eines kohärenten Textes, situativer Sprache und starker Figuren häufig genug gegen Vorschläge verteidigen, die ihrerseits ohne den Dialog ebenfalls ungeprüft in die Produktion einfließen und den Text verwässern könnten.
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Verbranntes Land
von Eve Leigh
übersetzt aus dem Englischen von Henning Bochert
Deutschsprachige Erstaufführung
15.03.25 | Schauspielhaus Wien
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