Hybride oder Ich will Kelly Osborne sein
Die Gestalt der Hybriden.
Gregor steht zur Begrüßung in der Tür. Johann erkennt mich inzwischen vom letzten Besuch, lächelt scheu und versteckt sich hinter Gregors Bein.
– Hallo, sage ich.
Gregor lässt mich rein: – Marion ist noch bei der Arbeit.
Seit Johanns Geburt vor zwei Jahren ist er vor allem Vater. Ich rechne ihm die Disziplin und Verantwortung hoch an, mit der er sich für die junge Familie ins Zeug wirft. Der Unterhalt nimmt ihn derart in die Pflicht, dass er an seinem Beruf nur noch den Broterwerb durchführen kann. Weiterführende Gedanken fallen weg, allein der Kontostand entscheidet. Ideen zu künstlerischen Themen saugt er mit der Begeisterung eines Parasiten auf. Sie lösen aber nichts aus, und über den Moment hinaus haben sie keinen Bestand. Die Eigenschaft geht verloren.
Meine Besuche sind sporadisch. Nach anstrengenden Feiertagen, nach zähen Familienbesuchen voller belanglosem Gerede wieder bin, fühle ich mich beim Zwischenstopp hier auf dem Rückweg oft mehr zuhause als bei meinen Eltern. Kaffee aus denselben Tassen in wechselnden Küchen, zweimal zwei Stunden im Jahr, wenn’s hoch kommt. Und jedes Mal reden wir über Familie. Andere Themen hätten wir vor Jahren anschneiden sollen. Jetzt sehen wir uns zu selten, um etwas Neues zu vertiefen. Also bleibt es eben bei der Familie.
Die erste Generation der Hybriden.
Ich berichte, wie sehr es mich bei meinem jetzigen Besuch irritiert hat, meinen Vater älter werden zu sehen. Das Hemd ist ihm näher als die Jacke, und übergeordnete Fragestellungen zielen darauf, ob der Käse besser in Plastikfolie oder in Wachspapier verwahrt werden sollte. Neues ist Fremdes und gefährlich. Wie immer hat Gregor zu allem etwas zu sagen.
– Mich hat immer so viel aufgeregt bei meinem Vater früher, und umgekehrt war das genauso. Aber mit Johann hat sich die Lage total entspannt. Wir sind geduldiger miteinander. Eigenschaften, die mich bei den Eltern immer genervt haben, stelle ich jetzt bei mir genau so fest, verstehst du?
Marion ist von der Arbeit gekommen, hat ihren Sohn liebevoll begrüßt und sich mit ihm ins Kinderzimmer verzogen. Jetzt nimmt sie sich einen Teller und setzt sich zu uns, während ich weiterrede.
(…)
Erschienen in:
Die Novelle #6: Königshäuser
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