FLÄCHENBRAND in Lüneburg
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Das schöne Stück Flächenbrand von Eve Leigh, das sie für eine Schauspielklasse in Sheffield geschrieben hat, ist seit der Premiere am 24.01.2025 in einer Inszenierung des Theaters zur weiten Welt in Zusammenarbeit mit Theater für alle in der Kulturbäckerei in Lüneburg zu sehen. Das hat mich so gefreut, dass ich hingefahren bin und mir die Premiere angesehen habe.
Diese Inszenierung des Stücks ist die erste in Deutschland, die mit einem großen Ensemble von 24 Menschen auf der Bühne arbeitet, und damit kann sie dem groß angelegten Stück die Dynamik geben, die Eve sich gewünscht hat. Ich will der Handlung gar nicht vorgreifen, jedoch kurz einige Eindrücke wiedergeben.
Mehrere sehr schöne Ideen haben der Inszenierung eine besondere Färbung gegeben, die ihm gut gestanden hat. So ist die mysteriöse Entführerin eine Triade von drei sehr unterschiedlichen Darstellenden und bekommt damit etwas Archaisches, Mythisches. Ihr Orakelcharakter wird auf eine neue Weise hervorgehoben, die dem Stück so nicht anzulesen ist. Das besondere Casting, in das mich einer der Regieführenden, Raimund Becker-Wurzwallner eingeweiht hat, führt zu besonders berührenden und integrativen Besetzung: Sie haben einfach der Reihe nach die ersten genommen, die mitmachen wollten. So sind die Körper, die dort auf der Bühne zusammenkommen, denkbar unterschiedlich in Alter, Geschlecht, Herkunft, Sprache, Motorik etc. – wie Körper eben so sind.
Sehr charmant: Die Autorin lässt die Figur der Mariella einer anderen, Dave, die Erfahrung von kultureller Fremdheit anhand ihrer Erfahrung mit Estnisch erläutern, das linguistisch recht insulär dasteht und sich als finno-ugrische Sprache von den meisten anderen Sprachen in ihrer Systematik unterscheidet. Nun beginnt die Darstellerin in dieser Szene unvermittelt, ihren kleinen Monolog auf Estnisch zu sprechen. Das ist eine gelungene Überraschung, denn Estnisch wird weltweit von vergleichsweise wenigen Menschen gesprochen, und die Wahrscheinlichkeit, eine davon im Ensemble zu haben, ist nicht eben groß. Genau so war es aber in diesem Fall. Bei meiner Schwäche für Mehrsprachigkeit im Theater war ich sofort begeistert. Die Stelle wird von einer der Flugbegleiterinnen simultan auf Deutsch gesprochen.
Die Inszenierung ist überraschend großzügig mit der Hinzugabe von Videomaterial. Es ist selbstbewusst editiert und unterstreicht mit Entschiedenheit die Klimathematik des Stücks. Ich hatte den Eindruck, das funktioniert sehr gut und hilft uns, bei aller Künstlichkeit und Fantastik der Handlung die Dringlichkeit des Anliegens vor Augen zu haben. Die Leidenschaft der Mitwirkenden für ihre Arbeit, die sie über ein halbes Jahr beschäftigt hat, ist auch während der chorischen Stellen zu bemerken und vielleicht am meisten, wenn eine Situation, die im Text mit einem seitenfüllenden Bittgebet gelöst ist, in Lüneburg zu einem in Notsituationen beruhigenden, einigenden Gesang des gesamten Chors kulminiert. Sehr stimmig!
Vielen Dank, Theater zur weiten Welt. Den Besuch der kommenden Vorstellungen möchte ich empfehlen. Alle Termine und Informationen hier: Theater zur weiten Welt.
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