In der Schwebe
Dem grünbraunen Fluss unter ihr ist der trockene Sommer anzusehen: viel würde im Rhein nicht mehr ankommen. Es war elf Uhr vierunddreißig, sie würde sogar noch zu früh kommen, die Wege in der kleineren Stadt waren kürzer, als sie es aus Berlin gewohnt war. Es ging bei der Besprechung um eine Drehbuchentwicklung, die Änderungen zur dritten Fassung. Aus dieser Perspektive sah diese Stadt überraschend grün und wirklich nett aus. Sie hatte von der Schwebebahn natürlich schon gehört und angenommen, dass man irgendwie von oben auf die Häuser sehen würde, aber tatsächlich guckt man eher den Leuten im dritten Stock in die Fenster. Wenige Häuser haben aber mehr als drei Stockwerke. In Berlin wurden in den letzten Jahren im Osten die Dachstühle ausgebaut, und in der Masse ist durch diese fünften Stockwerke bei regulären Wohnhäusern deutlich mehr Wohnfläche geschaffen worden in der Stadt. Die Einwohnerzahl scheint sich erhöht zu haben und der Platz wurde benötigt. In dieser kleinen Stadt ist alles, na ja, kleiner. Greifbarer. Beruhigender, weil weniger überwältigend. Vielleicht muss ich doch raus aus der Metropole, vielleicht ist mir das alles zu groß. Ich bemerke das nicht, solange ich da bin, oder ich kann es nicht bewusst an der Stadt selber festmachen, aber viel Stress kommt natürlich von der Dichte. Die physische Reibung der Menschen erzeugt psychische Erwärmung. Schon der Gedanke der kurzen Reise selbst war Ausschlag gebend, wie jede Veränderung zuerst einen Widerwillen und eine Hautreizung verursacht. Dann hatte der Ortswechsel aber auch etwas Verlockendes. Raus aus der Ecke in der Oderberger, weg von den Dimensionen Tourismus, Hipness, Optionsreichtum und also Entscheidungszwang, wo man ja eigentlich gar keinen will.
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