Das Verbindende im Fremden
Die getrennte Probenzeit für unsere erste gemeinsame Produktion SumSum2 in den drei vor uns liegenden Jahren neigt sich dem Ende zu. In Kürze geht das gesamte Team in Erlangen gemeinsam in die Endproben. Gespannt sehen wir der Aufgabe entgegen, zwei völlig verschiedene Regiehandschriften und Arbeitsweisen zu einem sowohl heterogenen als auch homogenen Abend zusammenzufügen. Die Geschichte in beiden Teilen ist diegleiche, die Szenen, der Text – alles gleich. Daher sollen die Unterschiede möglichst deutlich hervortreten und erhalten bleiben. Sicher gibt es eine Gefahr, etwas anzugleichen oder etwa Lösungen des anderen Teils übernehmen zu wollen. Das gilt es zu vermeiden.
Der Theaterabend mit der Geschichte von Selina/Alina und Urs-Peter/Pyotr wird uns etwas erzählen über vermeintliche und reale Unterschiede, die eigene Angst vor dem Fremden und einer produktiven Herangehensweise an das, von dem man vielleicht nur Falsches weiß. Wie kann ich damit umgehen, wenn ich zuerst nichts verstehe? Wie verlässlich sind Verständnishilfen, wenn der Bezugsrahmen ebenfalls stets fremd ist, wenn Vergleiche nicht funktionieren? Wie sehr ist Übersetzungen zu trauen, die das Übersetzte aus einem Kontext nehmen, den ich nicht verstehe, und in einen setzen, den ich kenne – möglicherweise mit dem besten Willen? Geht damit nicht gerade das verloren, was ich verstehen möchte? Es hilft nichts – auf lange Sicht muss ich mir den Hintergrund und die Herleitung auch der Bezugsgrößen aneignen, sonst muss es mit Vorurteilen und Fehleinschätzungen enden.
Der Zweifel ist ein ständiger Begleiter: wie ist das gemeint, was ich höre und sehe? Missverständnisse sind vorprogrammiert. Eine Falle: ich beobachte den anderen. Wenn etwas auffällt, weil es anders ist, als ich es kenne (wie oft wird auf die Wange geküsst zur Begrüßung?), dann ist es für mich schon Gesetz im Land, aus dem der andere stammt. Dabei ist es möglicherweise bloß dessen Eigenart. Überhaupt ist zu lernen: Verallgemeinerungen funktionieren eigentlich nicht. Alles ist spezifisch. Und alles muss erfragt und erklärt werden. Jedenfalls am Anfang.
Andererseits: wenn man anfängt, sich ein wenig zu verstehen, ist plötzlich ein Streit nicht mehr möglich. Der andere versteht dann immer nur das, was er sich aus meinem Gestammel zusammenreimt, und das passt dann seltsamerweise stets zu dem, was er selbst meint. Das fortgesetzte Missverständnis erzeugt einen dauernden Eindruck von Verständigung: jeder sagt, was er meint, der andere hört, was er möchte.
Die beiden zentralen Figuren im Stück von Laura de Weck finden sich in all diesen Situationen, die uns in der Arbeit im anderen Land begegnen. So können die russischen Darsteller in Erlangen und die deutschen und schweizerischen Darsteller in St. Petersburg ihre Erfahrungen während der Proben direkt in die Figuren fließen lassen. Auch Klangräume, die im anderen Land aufgeschnappt werden – die Geräusche der U-Bahn, ein Gespräch in einem Café und immer wieder Musik -, finden Verwendung.
Das Verbindende ist die Erfahrung dessen, was trennt.
Schreibe einen Kommentar