Ironie
Bolaño
STERN IN DER FERNE beschreibt erneut die Geschichte eines rechten Dichters aus der Pinochetdiktatur (erklärtermaßen im Zuge des Romans „Die Naziliteratur in Lateinamerika“, einem äußerst seltsamen Buch). Bolaño mit seiner südamerikanischen Nonchalance, irgendwie so wegerzählt, scheinbar wenig Strenge, aber immer wieder geniale Bilder: … erschöpft, verängstigt, als würde die Zeit ganz in unserere Nähe verstreichen wie ein Erdbeben … . Unglaublicher Kenner der lateinamerikanischen Literatur; im Interview nennt er ungefähr 1000 Namen, von denen ich gerade die drei bekanntesten vom Hören kenne. Was für ein ungeahnt tiefer und breiter kultureller Graben der Atlantische Ozean doch ist. Jetzt erscheint eine zu Lebzeiten unveröffentlichte Arbeit (Die Nöte des wahren Polizisten), die Entwicklung eines Seitenarms der 2666-Handlung. Das geht also auch, wie wir auch schon bei Johnson gesehen haben. Der Kosmos der eigenen Figuren ist verlockend.
Zeller
X-Freunde. Theaterstücke wirken inzwischen so flüchtig, aber sprachlich interessanter als Prosa. Sprechsprache kann dichter sein als Schriftsprache, weil sie dem Zuhörer interpretiert verabreicht wird. Schriftbild kann Interpretationsdiktat sein, das wirkt in der Schriftsprache leicht überheblich (Elfenbeinturm, hohe Kunst, „Literatur“), in der Dramatik interessant und spannend. Die krasseren formalen Mittel werden sogar begrüßt, weil damit der nächsten Produktionsphase Energie hinzugefügt wird, und im Theater geht es viel um Energie auf der Bühne, die zum Publikum herab- oder herüberstrahlt. Diese Energie entsteht im Fall der formalen Mittel aus Fragen, die den krassen Abgründen/Fallhöhen zwischen Worten oder Satzteilen entsteigen. Diese Fragen wirken auf die Zuschauenden wie eine belebende Droge des Geistes, sie müssen denken. Deswegen gehen sie ins Theater. Palmetseder macht das schon im Titel klar, Polesch auch. Zeller: die Ellipse.
Für Goetz ist Ironie oder Zynismus der Versuch, Dinge in Entertainment zu verwandeln, die es nicht hergeben, ein Verrat an der Sache. Diesen Fundamentalismus teilen wenige. Für den Dickbrettbohrer Handke ist es ein künstlerisches Ausweichen, ein Verrat. Zeller ist viel spaßiger, kaum weniger wortgewandt, aber die von ihm so gern Kaputtheit genannte Kaputtheit der Welt bringt sie zum Lachen, wo er sich aufregt. Wie ich. Um dieses Lachen, diese Leichtigkeit im Umgang mit der Welt, dieses Die-Welt-nicht-persönlich-Nehmen und letztlich auch dieses Sich-selbst-nicht-persönlich-Nehmen habe ich Ka und Ell und auch Emm immer beneidet. Mein persönliches Leben lang.
Schreibe einen Kommentar