HELDENPLATZ von Lupa
Krystian Lupas Inszenierung von Thomas Bernhards HELDENPLATZ am Litauischen Nationaltheater Vilnius spricht eine Sprache, die deutlicher nicht sein könnte. Die Bernhardsche Sprache selbst lässt an Deutlichkeit schon nichts zu wünschen übrig, aber immer will Theater ja auch gehört werden.
Die Zuschauer in Halle 4 des Warschauer Messegeländes waren bei der 36. Warszawskie Spotkania Teatralne (dem Warschauer Theatertreffen) offenbar auf den vierstündigen Abend vorbereitet. Im Foyer lange Schlangen an den beiden Kaffeeständen, so dass trotz langer Umbaupausen auch bis nach 22 Uhr keiner der Zuschauer des Saal verließ.
Heldenplatz: Professor Josef Schuster hat sich aus dem Fenster direkt auf den Heldenplatz in Wien gestürzt und umgebracht. Die Kisten zum Rückzug der jüdischen Familie aus dem allen verhassten, vom Judenhass und von allgemeiner Dummheit unerträglich durchsetzten Wien in den Exilort Oxford stehen schon gepackt in der Wohnung, das Haus dort ist schon gekauft, die Wohnung in Wien veräußert. Dann der Selbstmord. Außer Prof. Schuster wollte niemand zurück nach England, und alle Pläne werden nun geändert. Die Witwe zieht zum Schwager nach Neuhaus. Das Stück war 1988 in Wien ein unglaublicher Skandal, seine Premiere wurde von Claus Peymann gegen den Willen der Politik durchgesetzt, Videos der buhenden und applaudierenden Zuschauermengen bei der Premiere bezeugen die Bedeutung des Stücks, das nur für Österreich bestimmt war.
Lupa hat den Text sowohl stark gekürzt als auch das tiradisierende Tempo der Monologe Bernhards durch die für ihn typische, verlangsamte Innerlichkeit ersetzt. Lupas Ensemble spielt mit einem an die Steinsche Schaubühne gemahnenden psychologischen Ultra-Realismus. Leider gerät damit der schwierige erste Teil des Stücks trotz großzügiger Striche gar zu langsam. Der zweite Teil gerät dynamischer, nicht zuletzt, weil die Figur des Bruders des Verstorbenen, Professor Robert, ergiebige Konturen und eine sehr direkte Sprache entfaltet. Überraschend können böse Tiraden von lustigen Lachanfällen von Robert und Olga begleitet werden, wenn es gegen die mit schreiender Dummheit geschlagenen Politiker geht. Das Publikum, direkt durch die vierte Wand hindurch angesprochen, lacht mit. Als endlich im dritten Teil die Witwe von Professor Schuster auftaucht, wirken die Figuren selber doppelt erleichtert, wie befreit von der Notwendigkeit, während des untätigen Wartens den immer selben Lament abzuspulen.
Die dezenten Videos von Łukasz Twarkowski ziehen eine weitere Realitätsebene auf. So erscheint der suizidierte Professor Josef Schuster, Hemden faltend, wie die Haushälterin ihn beschreibt; eine Frauengestalt wird geisterhaft sichtbar; im zweiten Teil auf dem Friedhof werden die Projektionen zu großflächigen, wechselnden, ruhigen Filmlandschaften, nicht Bildprojektionen, sondern ruhige Filme mit minimalen Bewegungen. Das Heldenplatzcrescendo am Schluss führt zu einem Videobild von fliegenden Scherben wie von einem eingeworfenen Fenster.
Die Detailfreude zeigt überraschend Wirkung, wenn z. B. auf dem Friedhof des zweiten Teils der Töchter Anna und Olga und ihr Onkel Robert, Bruder des Verstorbenen, schwarz, innerlich, ernst und kaum beweglich wie uralte Wiedergänger erscheinen, zeitlose Vampire, die von der Zeit vor dem Krieg, von der Menschenvernichtung und dem Judenhass im Land sprechen. Von Dingen, die die Zeitgenossen vergessen haben.
Bernhards böse Beschimpfungen des nur für Österreich bestimmten Stücks werden in der entaustriasierten Fassung von Lupa plötzlich überraschend schmerzlich und emotional, auch gelegentlich pathetisch. Lupa reißt dem Heldenplatz den wienerischen Balg herunter wie einem Karnickel im Volksgarten. Aus Burgtheater wird (litauisches) Nationaltheater, aus Heldenplatz Didvyrių Aikštė, aus Mariahilferstraße Hauptstraße, aber Neuhaus und Niederreiter und London bleiben, was sie sind und auch sein können im mitteleuropäischen Zusammenhang. Im Stück heißt es, dass der Tote Prof. Schuster Nähe gehasst und als Besitzergreifung verstanden hätte. Lupa befindet sich in einer ähnlichen Fremde im eigenen Land wie Bernhard, er ergreift von diesem Text Besitz mit der Leidenschaft einer Penthesilea, seine Nähe könnte nicht größer sein. Gleichzeitig befreit er das Stück damit aus seinem ursprünglichen Zusammenhang und findet eine Wahrheit in den Worten, die nun weit über Österreich hinaus klingen.
Was diese Leute aus [diesem Land] gemacht haben
in unbeschreiblich
eine geist- und kulturlose Kloake
die in ganz Europa ihren penetranten Geschmack verbreitet
und nicht nur in Europa
(…)
Alle diese Parteien
sind heute Totengräber ihres Landes
alles hier ist der Niedrigkeit ausgeliefert
und erstickt an jedem Tag in Gemeinheit und Heuchelei
Ein Vierteljahrhundert nach Entstehen des Stücks kann diese Inszenierung auf die Verachtung seinem Publikum gegenüber verzichten. Gemeinsam mit den Zuschauern kann sie trauern über den Prozess der aktuellen politischen Verrohung. Diese Inszenierung wird nicht vom dekadenten Burgtheaterpublikum gesehen, das sie angreifen muss als etwas selbst Verrohtes. Der Saal in Warschau ist voll offener Ohren für diese Botschaften. Eine Mahnung an das Publikum ist hier dennoch deutlich zu hören:
Es ist ja nicht so dass gegen diese unheilvollen Vorgänge
nichts gesagt wird und nichts geschrieben wird
jeden Tag wir dagegen etwas gesagt und wird dagegen etwas geschrieben
aber dieses dagegen Gesagte und dieses dagegen Geschriebene wird nicht gehört und wird nicht gelesen
das heißt sie hören etwas über katastrophale Zustände tun aber nichts dagegen
Die [Leute] hören nichts mehr und sie lesen nichts mehr
und sie lesen auch über katastrophale Zustände tun aber nichts dagegen
[wir] sind ein Volk völliger Gleichgültigkeit
gegenüber [unseren] katastrophalen Zuständen geworden
(…)
die Kirche ersetzt der Allgemeinheit das Gehirn
sie stellt jedem ihren einzigen Gott zur Verfügung
sie verpachtet ihren lieben Gott sozusagen
sogar nicht nur auf neunundneunzig Jahre
sondern jedem einzelnen lebenslänglich
Durch das Instrument des Nationaltheaters Vilnius und seiner hervorragenden Schauspieler spricht Lupa zu seinem Polen, das ihm fremd geworden ist. Etwas anders fremd vielleicht als Bernhard sein Österreich war, dennoch aber kommunizieren beide Künstler einhellig in derselben Art von Fremde. Verlautbarungen wie Lupa werden nun notwendiger als je gebraucht in einem Zentraleuropa, in dem die Kulturbudgets für kritische Stimmen immer seltener gewährt werden.
Foto: H. Bochert
18.04.2016
Schreibe einen Kommentar