Literatur, Psychologie, Politik
Hatte Lenz überhaupt eine Chance? Die Autorin der Lenz-Biographie von 1989 wird in etwas betulicher, aber unglaublich aufwändig recherchierter und beachtlich genau ausgespürter Art nicht müde zu betonen, dass Lenz vor allem durch den Vater ein Komplex aufgeladen wurde, der ihn in einer Zeit, die für Weicheier nicht eben viele Rückzugsräume bereithielt, von allem Anfang an schon mit einem schwer heilbaren Charakterknieschuss versehen hat. Als er dann auch noch „nichts Richtiges“ lernte, sondern sich voll auf die Künstlerexistenz kaprizierte, war er an sich (ohne öffentliche Förderprogramme, von denen heute immerhin einige mit vergleichbaren Ambitionen profitieren können) nur noch durch adelige Protektion zu retten. Hier tritt die nächste Schwierigkeit auf den Plan: Lenz’ kompromissloses und kritisches Künstlernaturell, dass von der Nachwelt so überaus hoch geschätzt wird, ließ ihn sich dieser Protektion nicht ohne weiteres ausliefern. Das zeitweise geradezu punkige Künstlerdorf Weimar zieht auch ihn an, die Erfolgkanone Goethe schoss ihm dann aber auch das zweite Knie zu Brei, so dass er fürderhin lediglich noch straucheln konnte. Für den Rest des zu kurzen und doch so zermürbend lange sich hingezogen habenden Lebens erhielt er dann keine entscheidende Unterstützung mehr, und er selbst war einfach nicht stark genug, einer stabilen und erfolgreichen Lebensform zuträgliche Entscheidungen zu fällen, sondern dazu verdammt, sich auf schmerzlichst selbstzermürbende Weise für die Gunst der längst ihn Hassenden den Arsch aufzureißen. Seine Reformanträge an die seine Ideen als feindlich bekämpfende Feudalherrscher_innen sind historisch geradezu lächerlich naiv und insgesamt ein fortgesetzter politischer Selbstmord. Wundersam bleibt, wie der zuhöchst Verzweifelte, dann in Russland hauptberuflich nur noch Unglückliche und sich in Grund und Boden Erniedrigende das aufstrebende Literaturschwergewicht Nikolai Karamsin nicht nur als Freund gewinnen, sondern auch, als Lenz selbst schon lange nichts Großes mehr schrieb, literarisch nachhaltig beeinflussen konnte.
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