Schwellenangst
So viele Theaterbesuche hatten in den vergangenen Monaten zu einer Entfremdung geführt. Man hatte sich auseinandergelebt, man erkannte im anderen nicht mehr, was einen mal fasziniert hatte. Was will dieses Medium, was ist das für eine merkwürdige Situation, die da drüben auf der Bühne, die Zappler, die Brüller, die Geher und Steher, ich hier im Zuschauerraum immer Herumsitzer, der sich nicht angesprochen fühlt, der in keine Illusion eintaucht, von keiner Fabel berührt, den der Vorgang Theater nur noch wundert und befremdet, so dass ich mich nach den verschiedenen Festivals und Veranstaltungsakkumulationen fragte, wieso sollte diese Beziehung weitergehen.
Nach HEDDA GABLER im DT hat mich das Theater wieder. Was Ostermaier (zwei Reihen hinter mir) und die ebenfalls wunderbaren Schaubühneschauspieler so nicht geschafft hatten, Pucher und Team haben es vermocht: den inneren Kern dieser alten Geschichte für mich zu vivisezieren und zu servieren. Mit Ernst und Spaß, Altheit und Neuheit, Entsetzen und Cowboys an den richtigen Stellen. Durch die nicht eben einfache Spielweise, die zwar komische Distanz zu den Figuren schafft, aber sie nicht durch Ironie verrät, wird die Konstruktion der Geschichte transparenter, und das über den Heddaüberdruss erzählte Motiv Heddas des fatal destruktiven Eindrucks, dass das Leben einem noch was schuldet, mit nicht leichtfertiger, aber genügend leichter, der Ökonomie wie auch der Möglichkeiten von Bühne, Körper, Sprache kundiger Hand als zwingendes Mark des Stücks in mich hineinpräsentiert. Danke, Stefan Pucher, danke Henrik Ibsen, danke, liebes Ensemble vom DT!
Aus dem Theater komme ich, die ganze konzentrierte Energie der Schauspieler und der Geschichte in mir eingelagert, schwellenlos zwischen Kunst und Realität in den Bahnhof Friedrichstraße, wo der bettelnde Punk mit seinen Fünfsachen, als er mir sein Sprüchlein aufsagt, so echt ist wie dieser Eilert, der regengraue Endmaihimmel so richtig wie die Siebzigerpopplastiklampenwand.
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