GODOT in Avignon
Über 1300 Produktionen sind in diesem Jahr beim Theaterfestival in Avignon zu sehen. Im Théâtre Les Halles sehe ich WARTEN AUF GODOT in einer Inszenierung von Laurent Fréchuret. Zum ersten Mal in der Originalsprache und, wie ich mich dann frage, vielleicht überhaupt zum ersten Mal?
Ich bin zu früh am Theater und streune noch ein wenig durch das Viertel, in dem sich viele Touristen durch die 35 Grad heiße Luft schlängeln. In der rue des Teinturiers drängelt sich das Volk so freundlich und dicht und autofrei, dass ich mich mit einem Glas Wein aus dem Luberon und ein paar kleinen Broten mit Tapenade zum Glotzen vor eine Bar setze. Ich hadere ein wenig mit Bedenken wie inzwischen bei Büchners WOYZECK, dessen ebenfalls sehr reduzierte, knappe Sprache nur noch aus zu häufig gehörten Zitaten zu bestehen scheint, so dass es sehr schwer fällt, diesen Text neu zu hören. Bei diesem GODOT auf Französisch, welches ich kaum verstehe, und überhaupt auf der Bühne, erweist sich das jedoch dann als dummes Hirngespinst.
Becketts eigene Inszenierung des Stücks 1975 am Berliner Schillertheater hat die Wahrnehmung seiner Werke in Deutschland radikal verändert. So wie die Schauspieler in dieser Inszenierung berichten, dass sein Inszenierungsstil alles Bedeutungsvolle sehr einfach gemacht hat, so ist auch Becketts Sprache in WARTEN AUF GODOT sehr schlicht. Meine Kenntnis des Textes sowie das deutliche und einfache Französisch eröffnen mir diesen wunderbaren Text im Théatre les Halles ganz neu. Er kann mich erreichen und berühren. Die Darsteller Jean-Claude Bolle-Reddat, Maxime Dambrin, David Houri und Vincent Schmitt arbeiten grandios und mit viel Spaß, „il me semble“, und jeder wird in seiner Rolle zu einem Spezialfall. Insbesondere die Figur des Lucky wurde offenbar mit großer Aufmerksamkeit und durch eine schlohweiße Perücke und Spezialschuhe, die ihm einen extrem unsicheren Gang geben, stark gestaltet.
Didi und Gogo tun, man weiß es, wenig anderes als warten. Dabei wird die Zeit nur ihnen, nicht aber dem Publikum lang, denn sie warten sozusagen schnell, sie sprechen mit großer Dynamik. Die antiphonischen Repliken, mit denen der Autor das Stück gespickt hat, beschleunigen diesen Abend streckenweise, so dass andere Passagen stärker Raum greifen können. Den Darstellern gelingt es, die knappe Sprache nicht zu überlasten mit Bedeutung, wie es bei deutschen Inszenierungen vor der nach Augenzeugenberichten überraschend witzigen und raschen Inszenierung am Schillertheater wohl üblich war. In einem ZEIT-Interview von 2006 sagt der Schauspieler Stefan Wigger, der damals mit auf der Bühne stand, über den Autor:
„Er wollte keine Erklärungen, weil jede Entschlüsselung Einschränkung bedeutet.“ (1)
In seiner Beckett-Biographie widmet sich Anthony Cronin dem Sprachwechsel in Becketts Schreiben vom muttersprachlich Englischen hin zum fremden Französisch. Er zitiert Beckett dazu, der sagte „es auf Französisch einfacher sei, ohne Stil zu schreiben“ (2) und dass das Französische ihm gefalle, weil es „die richtige, schwächende Wirkung hätte“. Das verweist auf eine problematische Tendenz der englischen Sprache – insbesondere für irische Dichter – zum schönen Klang. Diesen wollte Beckett explizit vermeiden, denn er erschien ihm wie ein „Schleier, der zerrissen werden muss, um an die Dinge (oder das Nichts) dahinter zu kommen“. In der Konsequenz entsteht seine extrem reduzierte Sprache, die poetisierende Arabesken vermeidet oder ironisch kommentiert. Auch Vladimir und Estragon machen sich Gedanken über das Wesen der Welt und wie die Sprache sie fassen kann. Dieser Reduziertheit verdanke ich es, dass ich – der ich mit Beckett wahrscheinlich nichts gemein habe, außer dass Französisch weder seine noch meine Muttersprache war – seinem Stück in dieser Fremdsprache zumindest meistens folgen kann. Er hat sich der Fremdsprache und des Fremden in dieser Sprache bedient, um die Verbindung zur Bedeutungslast der englischen Muttersprache zu kappen, um einfacher zu schreiben. Daraus sind dann auch Texte wie COMMENT C’EST entstanden (WIE ES IST; 1961), der bei seiner Publikation viel Häme ertragen musste.
In EN ATTENDANT GODOT von Fréchuret bleibt der ganz große Schmerz über die Welt im Untergrund. Vielleicht schauen die Darsteller ein bisschen zu häufig ins Publikum. Dass Pozzo einen Zuschauer in der ersten Reihe sogar anspricht und bittet, kurz die Leine Luckys zu halten – und ihn so zum Mittäter macht –, ist natürlich grandios.
Die engen Grenzen der Beckett‘schen Lizenzgebung hinsichtlich der Inszenierung sind hinlänglich bekannt, daher ist es überhaupt erfreulich zu sehen, mit welchen subtilen Mitteln diese Inszenierung sich doch Bewegungsfreiheit verschafft. So ist die Bühne (von Damien Schahmaneche) komplett mit struppigem Fußmattenmaterial ausgelegt, das gelegentlich Staub absondert, und der berühmte Baum ist auf einer leichten Bodenwelle aufgestellt. Diese klugen Mittel lassen die platte Bühne sofort zur Landschaft werden. Später steigt sogar Nebel aus der Erhebung auf.
WLADIMIR Was sagen sie?
ESTRAGON Sie sprechen über ihr Leben.
WLADIMIR Es genügt ihnen nicht, gelebt zu haben.
ESTRAGON Sie müssen darüber sprechen.
WLADIMIR Es genügt ihnen nicht, tot zu sein.
ESTRAGON Das genügt nicht.
Informationen zur Inszenierung hier: http://www.theatredeshalles.com/pieces/en-attendant-godot/
EN ATTENDANT GODOT (WARTEN AUF GODOT) von Samuel Beckett
Regie: Laurent Fréchuret, Bühne: Damien Schahmaneche, Licht: Franck Thevenon, Kostüme: Claire Risterucci, Maske: Françoise Chaumayrac, Regieassistenz: Caroline Michel
Mit: Jean-Claude Bolle-Reddat (Estragon), Maxime Dambrin (Lucky), David Houri (Vladimir), Vincent Schmitt (Pozzo)
Ort: Théâtre de Villefranche sur Saone, le 20 02 2015
(1) Aus: http://www.zeit.de/2006/16/Gesprch; abgerufen am 21.07.2015
(2) Anthony Cronin, SAMUEL BECKETT – THE LAST MODERNIST, flamingo, London 1997, S. 360f.
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