Logbuch 1.9: INFINITE JEST
„Es finden kaum Auseinandersetzungen statt, weil niemand die Zeit hat – innerhalb und außerhalb der Kulturredaktionen. Will man sich mit komplex arrangierten Büchern auseinandersetzen, braucht man einfach Wochen, und in der Zeit kann man nichts anderes schreiben und lesen. Und am Ende springen ein paar Cent Zeilengeld heraus. Das kann sich eben niemand mehr leisten, und das ist auch ein Grund, warum in den Kulturteilen der Vorwurf, dass etwas zu komplex ist, recht schnell und gerne formuliert wird. Das ist ein großes Problem, wird aber nicht als das diskutiert, was es eben auch ist: eine ökonomische Frage.“
Das reflektiert genau meine Erfahrung mit INFINITE JEST. Das Buch ist anstrengend nur, wenn man keine Zeit hat, sich den wunderbaren langen Bögen zu widmen (selbstverständlich auch bei gewissen eher kategorischen Erwartungshaltungen). Und es ist zeitraubend, wenn man ein durchschnittliches, an eine Erwerbstätigkeit gebundenes Leben führt. Die anderen Bücher drängeln schon, das macht manchmal ein bisschen schlechte Laune. Aber wenn Wallace dann in einer der längeren Fußnoten beschreibt, wie Mrs. Tine vom US-Büro für nicht näher definierte Aufgaben Frau Motkin über den Film Infinite Jest und dessen Herstellung und Verbleib befragt, wie es zu Joelles Unfall und Verstümmelung kam und wie auch deren Mutter verstümmelt wurde und wie überhaupt Joelles selbstredend kaputte Familiengeschichte sich herleitet, über die wir bisher im Haupttext nichts erfahren haben (bezauberndes Konzept: die wichtigsten Informationen erscheinen konsequent explizit marginal), dann ist das ein Erzählvergnügen, hinter dem sich der spätere Tarantino verstecken kann.
Ich habe gerade ähnliche Erfahrungen mit Neal Stephensons ‚Cryptonomicon‘ gemacht, sowohl was lange Bögen und zeitraubendes Lesevergnügen angeht als auch das laute Auflachen in trains, plains and automobiles. Vor allem den Inhalt der Geschichte nachzuerzählen ist nicht nur schwierig sondern verbietet sich gerade zu, weil eben der Inhalt des Buches nicht nur aus dem Inhalt der Geschichte besteht. Und genau deshalb habe ich jetzt mit seiner Barock-trilogie begonnen. Was soll’s. Sollen die anderen Bücher ruhig warten. Und was den Alltag betrifft: …
Deshalb höre ich an dieser Stelle auf, nehme den Hörer zur Hand und ruf Dich besser an. Ride on!