Eurodram in Sofia
Der Flug brachte mich aus einem zögerlich sommerlichen Berlin in entschiedene Wärme der bulgarischen Hauptstadt. Sofia war mir unbekannt, und ich wurde positiv überrascht von der touristenarmen Mischung aus florierenden, kleinen Geschäften, gutem Kaffee und Essen, wartungsbedürftigen Gehwegen, Straßenbahnen und Gleisen sowie einer brandneuen U-Bahn zum brandneuen Flughafen.
Für die Reise stand nicht ausreichend Förderung zur Verfügung, um wirklich viele Koordinatoren und Komiteemitglieder einzufliegen, daher fehlten leider viele Gesichter und Stimme in der Diskussion. Neben dem Gründer und Gesamtkoordinator Dominique Dolmieu waren das deutsche (Ulrike Syha) und das französische Komitee (Gilles Boulan) etwas stärker vertreten, außerdem Andreas Flourakis vom griechischen Komitee, Hakan Silahsizoglu vom türkischen, Bleuenn Isambard vom russischen, Neda Nezhdana vom ukrainischen und Karine Samardžija vom Komitee für Serbien, Kroatien, Bosnien, Montenegro. Eingeladen hatte Gergana Dimitrova vom bulgarischen Komitee, das auch recht stark vertreten war. Darüber hinaus waren Gäste von Gerganas Theater 36MONKEYS anwesend. Beatrice vom spanischen Komitee und das portugiesische Komitee melden sich jeweils per Skype.
Die Gesprächsrunde am ersten Tag über die Arbeit der einzelnen Komitees im seit der letzten Konferenz vergangenen Jahr habe ich leider verpasst, ebenso wie die Begrüßung durch den bekannten bulgarischen Autor Hristo Boychev. Am zweiten Tag stellten die Komitees ihre Stückeauswahl aus diesem Jahr genauer vor. Eigentlich hat dieser Schritt erst meine Aufmerksamkeit auf die Auswahl der anderen Komitees gelenkt und sie somit erst sinnvoll werden lassen, denn allein die Titel in der Auswahl auf der Eurodram-Seite bei sildav.org zu lesen reicht natürlich nicht aus, um das missionsmäßig gesetzte Ziel zu erfüllen, öffentliches Interesse an der internationalen Dramatik zu wecken. So konnte ich einige Stücktitel notieren, die für mich persönlich besonders interessant klangen, z. B. das Stück von Robin Soans in der griechischen Auswahl, das französische Stück PENSE QUE TU ES DIEU von Matthieu Viscniec oder auch das Stück MARILYN MONROE: TRIUMPH UND AGONIE des bulgarischen Autors Dimitar Hristov (beide ukrainische Auswahl). Für das deutsche Komitee konnten wir noch einmal auf unsere Auswahl von Massini, Sikorska-Miszczuk, und Tryti Vennerød hinweisen und erläutern, was diese Stücke in unseren Augen auszeichnet.
Zwischen den Gesprächen nutzten wir die Zeit, um einander in kleineren Gruppen in Hinterhofrestaurants besser kennen zu lernen und die Gespräche fortzuführen. Ausflüge in die Stadt vermittelten uns einen Eindruck unserer Umgebung. Wir sehen schicke traditionelle Uniformen an der Wache vorm Präsidentensitz und stolpern gleich dahinter über die christliche St.-Georgi-Kirche aus dem vierten Jahrhundert, die größte Synagoge Bulgariens, eine wunderbare orthodoxe Kirche sowie merkwürdig verpeilte Betontunnelarchitektur in der Innenstadt.
In der nächsten Runde kamen wir darauf zu sprechen, dass die Komitees unterschiedlich gut besetzt sind und daher unterschiedlich leistungsfähig sind. Einige Komitees verfügen über viele aktive Mitglieder, z. B. das französische. Andere haben zwar nominell viele Mitglieder, die aber leider weitgehend inaktiv sind, z. B. das russische. Andere haben wenige Mitglieder und keinen Koordinator, so z. B. das Komitee für Hebräisch oder das für die nordischen Sprachen, welches im Übrigen wahrscheinlich in unterschiedliche Komitees aufgeteilt werden sollte, z. B. in baltische Sprachen und skandinavische Sprachen. Andere wiederum haben sehr wenige Mitglieder, z. B. das serbisch-kroatisch-bosnisch-montenegrinische, das niederländische, das armenische oder das für Romanes. Das ist durchaus als Aufruf an Interessierte und Fähige zu verstehen, hier aktiv zu werden.
Darüber hinaus besprachen wir, welche unterschiedlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die diesjährige Auswahl auch öffentlich sichtbar zu machen und die ausgewählten Stücke zu bewerben und zu verbreiten. Wir waren uns einig, dass Eurodram insgesamt eine besser geeignete und eigene Internetseite benötigt und wie das technisch zu machen wäre. Die jeweiligen Komitees sollten nach Möglichkeit ebenfalls schon eigene Internetseiten erstellen, so dass ihre Arbeit nicht im leeren Raum verpufft, sondern Angaben zu Inhalt, Sprache, Stil der Stücke, zu Autorin oder Autor sowie zu Übersetzerin oder Übersetzer und gegebenenfalls Verlag zu finden sind. In Fällen, wo die Rechte nicht durch Verlage vertreten werden und Autor_in und Übersetzer_in einverstanden sind, könnten die Stücktexte auch direkt über diese Internetseiten verfügbar gemacht werden.
In einer ehemaligen Disko unter dem NDK, dem Nationalen Kulturpalast, besuchten wir eine Lesung der 36monkeys. Das Stück MICHEALA, TIGERIN DER STADT der rumänischen Theaterautorin Gianina Cărbunariu (auch auf Deutsch von Luisa Brandsdörfer erhältlich), wurde lebendig und mit abwechslungsreicher Raumnutzung gelesen. Spannend war zu sehen, dass die „Monkeys“ den Stücktext vom Computerbildschirm direkt an die Wand hinter dem Publikum projizierten, so dass die Darsteller frei und dem Publikum zugewandt agieren konnten.
Das schwierigste Thema, Finanzierungsmöglichkeiten bzw. Fundraising, hoben wir uns bis zum Schluss auf und entschieden, dass dringend ein Antrag für EU-Fördermittel (Mobilität und Workshops und Übersetzungen) gestellt werden sollte. Wir beschlossen ferner, dass mit Mitteln, die die einzelnen Komitees nach Möglichkeit (privat oder auf anderen Wegen) aufbringen können, eine erfahrene Person für diese Aufgabe bezahlt werden könnte. Um hier Lösungen zu entwickeln, ernannten wir ein eigenes Gremium.
Das nächste Treffen soll 2016 in Istanbul stattfinden, für 2017 hat das portugiesische Komitee Interesse angemeldet, die Versammlung in Lissabon auszurichten.
Für die gesamte Veranstaltung danken wir zuerst den bulgarischen Gastgebern Gergana Dimitrova, Adi Kuneva, Katrin Hrusanova, und Dimitar.
Schreibe einen Kommentar