Projekt: AN GRENZEN von Özlem Özgül Dündar
Zusammen mit Joseph Megel arbeite ich an einer Übersetzung von Özlem Özgül Dündars Theatertext AN GRENZEN. Das Projekt ist Teil eines größeren Austauschs zwischen mir und Joseph Megel, zwischen USA und Deutschland, zwischen der Humboldt Universität zu Berlin und der UNC in Chapel Hill. In dem Zusammenhang übersetzen wir auch Jim Grimsleys CASCADE, unterrichten zusammen an der HU, und ich nehme Unterrichtsmöglichkeiten an der UNC wahr.
Unser Trialog zwischen Autorin, Regie und Übersetzung (zusätzlich gewürzt durch die Tatsache, dass Joseph kein Deutsch versteht), macht die Zusammenarbeit zu einem seltenen, privilegierten Gut, bei dem sich deutscher und englischer Text und unser Austausch darüber derart befruchten, dass die Einflüsse sich in alle Richtungen bewegen. Es wird viel über Dramaturgie des Textes gesprochen, über Inszenierungsmöglichkeiten, die sich je nachdem, wie der Text weiter gestaltet wird, auftun oder schließen, sowie über kulturelle Fragen angesichts der Übersetzung für ein amerikanisches Publikum.
Dündars Text schlägt den Bogen von den Anwerbeabkommen Deutschlands mit verschiedenen anderen Ländern in den Fünfziger- bzw. Sechzigerjahren zu den NSU-Anschlägen in den Nullerjahren, von Migration zu Rassismus, von der Zerstörung der Körper durch Akkordarbeit zu ihrer Zerstörung durch Mord.
In der theatralen Situation spricht eine Stimme monologisch zu einer anderen, lediglich zuhörenden Person, ein Körper begegnet einem anderen und berichtet über die Sehnsucht nach ebendieser Begegnung, nach einer wirklichen Begegnung „mit Zeit“. Überhaupt stehen in dem Text die Körper, insbesondere die Hände, im Vordergrund. Ihnen gegenüber stehen Elemente und Materialien. Zunächst einmal das Metall, das die Körper in der entindividualisierten Akkordarbeit beschädigt, dann das Feuer, dass die Körper auf feige, heimtückische Weise vernichtet, dann wieder das Metall, das dieselbe Vernichtungsarbeit in der Öffentlichkeit, am helllichten Tag verrichtet. Die Motive Arbeit und Körper richten in ihrer Materialität den Text auf eine Theatralität einerseits als auch auf eine Klassenthematik aus, die das Thema der Migration unterstreicht und ergänzt.
Die Täterschaft bleibt anonym. Es ist die Entfernung zwischen den Menschen, die gesellschaftlich angelegte, mit den Anwerbeabkommen strukturierte und später durch Nichtintegration nicht der sogenannten Gastarbeiter zementierte Distanz zwischen den Gruppen, die die Gewalt verursacht, von Anfang an gegen die „angemieteten Körper“ gerichtet.
Stilistisch kontrastiert wird das Thema der Brutalität der Arbeit und der Morde durch eine ausgesprochen zärtliche, sehr poetische Sprache, die bis in die nonhierarchische, parataktische Synthax und die ausschließlich mit Minuskeln arbeitende Schrift hinein implizit wie explizit eine Sehnsucht nach Solidarität, nach Empathie, nach zärtlichem Zueinander und Zusammensein ausdrückt. Das Sprechen und das Zuhören, das ungestörte Aussprechen aller komplexen Gedanken oder Gedankenkomplexe, das geduldige Zuhören und Zuendehören aller vielfachen Wiederholungen, aller Versuche, das angeblich Unsagbare doch schlicht (nicht einfach) zu sagen – diese Vorgänge bestimmen Rhythmus und Takt des Textes, und spiegeln dabei etwas von der nämlichen Theatersituation, für die der Text gedacht ist.
Für die Übersetzung dieses Textes ins Englische sind das entscheidende Faktoren. Wie immer bei der Übersetzung ist das Abtasten des Textes auf seine Bedeutungsebenen in beiden Sprachen besonders entscheidend und so erfreulich und ergiebig in der Dialogsituation. In diesem Fall ist es besonders außergewöhnlich, da wir es mit einem Text zu tun haben, der sich selbst noch in der Entwicklung befindet, während seine Phasen schon übertragen werden. Übersetzung und Text entwickeln sich also gleichzeitig, und im Gespräch darüber beeinflusst die Übersetzung wiederum den Text, der noch geschrieben wird.
Über die Terminologie (wie übersetze ich etwa das Konzept von „etwas ‚in Ruhe‘ tun“ ins Englische?) hinausgehende Fragen richten sich hier an die spezifischen Theateranforderungen und werden unweigerlich dramaturgisch: Wer ist diese Stimme im Text, die spricht? Wer ist es, der da zuhört? Welches Wissen wird beim Publikum vorausgesetzt, wenn es zum Beispiel um Ereignisse aus dem 1990er Jahren geht, die mit solchen aus den 2000er Jahren in Beziehung und Verbindung gesetzt werden? Ist das gerechtfertigt? Braucht das – deutschsprachige – Publikum nicht mehr konkrete Informationen, auf denen der Text abhebt?
und sie sollten schon immer weg weg aus den augen aus dem sinn weg wie nie dagewesen sie sollten schnell arbeiten eine akkordschicht nach der nächsten machen und dann schnell verschwinden wie nie dagewesen und dann werden diese körper die geschuftet haben angegriffen mit schlägen mit spucke mit feuer und mit kugeln und die schläge die spucke das feuer und die kugeln sie sollen die körper zerstören blickst du zurück auf die 90er blickst du zurück auf die letzten jahre kommt dir das feuer entgegen es prallt dir ins gesicht aber auch ohne das feuer prallen sie auf die körper mit ihren worten die worte sind unsichtbar aber sie sind genauso stark wie das feuer du kennst diese stärke die ich meine
and were always meant to be gone gone out of sight out of mind gone like they never existed they were meant to work fast do one piecework shift after the other and then quickly disappear as if they had never existed and then these bodies that had slaved are attacked with blows with spit with fire and with bullets and the blows the spit the fire and the bullets they were meant to destroy the bodies when you look back to the 90ies look back to recent years the fire comes rushing at you it hits you in the face but even without the fire they hit the bodies with their words the words are invisible but they are just as powerful as the fire you know the kind of power that I mean
Im ersten Stadium geizt der Text, vielleicht um der Poesie willen, noch mit konkreten Informationen. Welches Publikum meint der Text? Können diese Informationen beim Publikum erwartet werden? Zumindest der amerikanische Leser (in Gestalt von Joseph Megel) fragt sich, worum es geht und welches die Hintergrundbezüge sind, denn er weiß nichts über Fremdenhass in Deutschland in den 1990er Jahren, der sich in Brandanschlägen äußerte, noch vom so genannten NSU im ersten Jahrzehnt dieses Folgejahrhunderts, der mit einer Schusswaffe mordete. Joseph und ich haben Gelegenheit, das zumindest bei den Studentinnen unseres Seminars (über aktuelle Diskurse in der US-Dramatik), in dem wir den Text und unsere Arbeit daran behandeln, zu überprüfen. Dort gibt es kein Wissen über die Vorgänge. Diese Rückmeldungen verleiten die Autorin, ihren Text expliziter zu machen. Der Poetik darin, zeigt sich, schadet das nicht. Im Gegenteil.
und das feuer ist eine versteckte waffe und ein angriff mit dem feuer hat etwas verstecktes verstehst du einen moment des geheimen wo sich ein angreifer hinter verstecken kann mit feuer steht immer auch ein zweifel im raum ob es nicht vielleicht ein unfall gewesen sein könnte so konnten die täter und täterinnen ihre taten noch verschleiern und sie haben es auch versucht die taten zu verschleiern bei ihren brandanschlägen in den 90ern auf die häuser von menschen die so sind wie ich ihre anschläge waren im versteckten und jetzt mit den anschlägen in halle und hanau gibt es auch diesen versuch nicht mehr verstehst du sie bewahren nicht einmal mehr den anschein versuchen es nicht einmal
and fire is a hidden weapon and there is something hidden about an attack with fire you see a certain secrecy an attacker can hide behind fire always leaves room for doubt whether it might not have been an accident so aggressors were able to veil their actions and they did try to conceal their actions with their arson attacks in the 90s on the homes of people that are like me their attacks were concealed and now with the attacks in halle and hanau even that attempt is gone you understand they dont even keep up appearances
An einer anderen Stelle heißt es:
erinnerst du dich daran als die körper angemietet wurden und man wollte sie für 10 jahre oder 20 jahre mieten und dann dann sollten sie weg zum beispiel dahin gehen wo der pfeffer wächst ja der pfeffer wächst dort tatsächlich der pfeffer der auch in deiner küche steht magst du pfeffer ein gut gewürztes steak ein leckeres salatdressing ja da kommt er her der pfeffer da wächst er wo die angemieteten körper herkommen
Eine wörtliche Wendung „geh, wohin der Pfeffer wächst“ wie im Deutschen bietet das Englische nicht, der darauf aufbauende Folgetext würde also seiner assoziativen Grundlage entbehren. Unser Kollege Neil Blackadder konnte helfen, indem er vorschlug, doch um den Pfeffer herum- und mit der englischen Phrase „go back where you came from“ zu arbeiten:
do you remember when the bodies were hired and they were going to hire them for 10 years or 20 years and then then they were supposed to disappear, go back to where they came from, even though where they came from is where lots of other things came from, things you enjoy, things in your kitchen, like spices, you like a nicely seasoned steak, don’t you, or a tasty salad dressing, yes well that’s where those flavors came from, from the same place you want to send them back to, the place the hired-out bodies came from
Mit leichten Variationen, um ihn dem Format und den Begriffen anzupassen, sieht das dann so aus:
do you remember when the bodies were hired and they were going to hire them for 10 years or 20 years and then then they were supposed to disappear go back to where they came from and where they came from is where lots of other things came from things you enjoy things in your kitchen like spices pepper you like a nicely seasoned steak dont you or a tasty salad dressing yes well thats where that pepper came from from the same place you want to send them back to the place the hired-out bodies came from
An diesem Beispiel zeigt sich auch gleich die besondere Schreibweise, für die sich die Autorin entschieden hat. Der Text ist vollständig in Minuskeln verfasst; er verzichtet auf jegliche Satzzeichen, Apostrophe, Bindestriche, man könnte sagen, auf sämtliche Sonderzeichen. Das Kleinschreiben verweist auf eine lange Tradition in der deutschen Literatur, die – wie viele Experimente – um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Auch das Schreiben ohne Satzzeichen ist eine stilistische Entscheidung, die über den Verzicht auf dieselben hinausgeht, entfällt damit doch auch ihre strukturierende Wirkung auf die Sprache, die dafür – also für das Leseverständnis und im Effekt schließlich auch das Hörverständnis auf der Bühne – andere syntaktische Lösungen finden muss. Konsequent überwiegt, bis auf sehr wenige markante Ausnahmen, die Parataxe über den Schachtelsatz, was eine flache, nichthierarchische Syntax zur Folge hat. Einer Dramaturgie, die eine Gesellschaft ersehnt, in der nichts und niemand Gewalt über etwas und jemand anderen ausübt, steht das gut zu Gesicht. Eine Sprache, die das abbildet, können die Literatur, die Poesie, das Theater anbieten.
Dündars Text stellt sich damit in eine weitere, jüngere Tradition, die sich fragt, wie ein Deutsch aussehen muss, dass angesichts seiner Überwältigung durch die Ideologie und Propaganda der Nazis dauerhaft belastet ist. Nach dem Sieg über dieses Deutschland gab es viele Versuche, eine Sprache zu suchen oder zu schaffen, die diesem Trauma einen Ausdruck verleiht beziehungsweise überhaupt einen Ausdruck im Angesicht der Gräuel, die durch die Sprache vorbereitet wurden, zulässt. Wenn Dündar nun wieder Gewalt gegen Menschen, die als anders behauptet werden, beschreibt, muss sie ihre Sprache auf Tauglichkeit abtasten und achtsam zurechtlegen. Man merkt diesem Text die vorsichtige Berührung ihrer Fingerspitzen an.
Die Übersetzung ins Englische lässt zunächst die im Deutschen auffälligsten Merkmale, die konsequente Kleinschreibung und fehlenden Satzzeichen, weniger auffällig erscheinen. Sie wirken entkräftet. Es dauert eine Weile, bis ich herausfinde, dass ein anderes Mittel, das im Deutschen nahezu nicht vorkommt, die gesprochen gemeinte Sprache im Englischen jedoch stark bestimmt, diesen Effekt entsprechend hervorrufen kann: Der fehlende Apostroph (Genitive, Verneinungen etc.) schafft im Englischen ein zeichenfreies Schriftbild, das der weichen Erscheinung im Deutschen und auch seinem Gestaltungsgrad entspricht.
Zwischen Regisseur, Übersetzer und Autorin geht der Text in diesem außergewöhnlichen Gespräch rund und rund. Die seltene Chance zu diesem Tiefgang in den Text oder vielmehr die Texte – den A-Text und den B-Text – nutzen wir nach Kräften, um beide in Dialog zu setzen. Eine Produktion im Rahmen von Joseph Megels Process Series an der UNC in Chapel Hill ist für den Frühling 2023 geplant.
Die Übersetzung wird vom Goethe-Institut unterstützt.
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