Eine Woche bei The Fence
The Fence, dieses „komische Tier“, wie Gründer Jonathan Meth es nennt, ist ein weltweit vernetzter, professioneller Freundeskreis, eigentlich ein Club, der auf Empfehlungen basiert. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt auf szenischem Schreiben, auf der Stückentwicklung, der Arbeit mit Regisseur*innen und Dramaturg*innen. In Atlanta, GA, sind wir eine Versammlung von Theaterpraktiker*innen, Dramaturg*innen und Schreiber*innen aus Frankreich, Skandinavien, London, Deutschland, Weißrussland, von der amerikanischen Ost- und Westküste und auch aus den Gebieten dazwischen.
Fünf Tage lang sitzen wir in immer anderen Räumlichkeiten und Spielstätten, Theatern, Kunstorten, Studios, Universitätsräumen, eine Mischung aus denselben und neuen Leuten, denn die Morgenworkshops am Morgen sind öffentlich und werden von örtlichen Künstler*innen besucht, die auf die eine oder andere Weise mit Theater zu tun haben. Wie für Theatermenschen üblich, bleibt das schöne, warme Wetter des amerikanischen Südostens draußen, wir kommen nur zu Kaffee- oder Essenspausen aus unseren schwarzen oder weißen Räumen und saugen es ein. Vorstellungsrunden wiederholen sich täglich in Variationen und führen stets zu einem genaueren Verständnis der Menschen, die man schon tags zuvor getroffen hat, und zu einem frischen Eindruck derer, die zum ersten Mal da sind. Ein erster Austausch zwischen örtlichen und internationalen Teilnehmer*innen ist eine hervorragende Gelegenheit zur fruchtbaren und informativen Diskussion über Arbeitsbedingungen in Atlanta. Worum geht es hier, was behandeln die Leute in ihrer Arbeit? Fragt Michael Dove, der selbst erst vor einem Jahr nach Atlanta gezogen ist, und die Atlantiner im Raum sprechen gern über ihre Besorgnis angesichts der drohenden Gefahr durch die Investoren, die die Stadt übernehmen und neu gestalten. Das kennen viele Besucher aus anderen Metropolen der Welt nur zu gut. Wohnraum wird viel gebaut, aber nicht für diejenigen, die ihn dringend brauchen.
Praktische Workshops stellen Techniken zur Entwicklung vor, zum Beispiel die Arbeit mit dem Raum, eine Schreibübung, die durch Vorstellungsreisen durch verschiedene Umgebungen inspiriert (Ana Candida Carneiro): Wie können Schlüsselsätze und Worte und die Vorstellungen dazu unser Schreiben beeinflussen? Jessica Litwak sortiert uns mit den Mitteln der Soziometrie neu, „einer wirksamen Technik zur Konfliktreduktion und Verbesserung der Kommunikation, denn mit ihr können Gruppen sich selbst objektiv erkennen und ihre eigenen Dynamiken analysieren“ (Chris Hofmann). Diese Technik stammt vom Erfinder des Psychodramas Jacob Levy Moreno. Heidi Howard, Künstlerische Leiterin des „7 Stages“-Theaters in Little Five Points, ist Gastgeberin eines Workshops über Aktivismus und Engagement in der Kunst in ihrem wunderbaren Theater, einem von wenigen, die mit internationalen Künstler*innen und Gruppen zusammenarbeiten. Sie berichtet, wie sie ihr Publikum durch gemeinsames Essen bei der Stange hält. Beteiligung des Publikums ist der Fokus einer weiteren Gruppenübung um die Aschenputtel-Themen – wie arbeitet man mit dem Publikum um die Themen Schuhe (ach, wie kulturell aufgeladen kann das Tragen von Schuhen sein oder der nackte Fuß usw.), Disziplinierung, Selektion, männlich-weiblich (Prinzen und Prinzessinnen). Die Umkehr von Erwartungen hinsichtlich dieser Geschichte, von der jede*r so viel zu wissen glaubt, die aber so viele Variationen kennt, ist eine geeignete Möglichkeit, wenn man ein kurzes Stück kreieren will. Wie wäre es mit kollektivem Erzähltheater? Die Geschichte gemeinsam mit dem Publikum bauen: Wieso bist du der Prinz oder die Prinzessin?
Edward Buffalo Bromberg (Riksteatern Stockholm) und Debbie Seymour (LAMDA, UK) sprechen über ihre Ansätze in ihrer dramaturgischen Arbeit. Debbie berichtet von Liz Lermans Techniken, über einen moderierten Ablauf von Fragen und Antworten zwischen Künstler*in und Publikum konstruktive Kritik zu erhalten. Das Gespräch konzentriert sich beinah einvernehmlich auf die Rolle der Dramaturgie und ihren Platz in der Entwicklung eines Stücks bis zur Produktion, als Gesprächspartnerin der Autor*innen, bis ich ihre Rolle als Angestellte in den Institutionen anspreche, die Theater in Zentraleuropa darstellen, und die viel mit Spielplänen und Öffentlichkeitsarbeit zu tun haben.
Wir erfahren so viel über Atlanta wie in der kurzen Zeit möglich, besuchen das Zentrum für Bürger- und Menschenrechte, das sich vornehmlich auf die Bürgerrechtsbewegung im US-amerikanischen Süden der 1960er Jahre konzentriert, wobei Dr. Martin Luther King eine wichtige Rolle spielte. Abends schauen wir einige Inszenierungen an, allesamt enttäuschend nach den tiefgründigen Diskussionen tagsüber. Gut in Erinnerung bleiben die Abende in köstlichen Tapasbars in Midtown oder das Intermezzo Café mit seiner riesigen Kuchenauswahl im Wiener Stil und den Gesprächen, die über das professionelle hinausgehen.
Am meisten beeindruckt während der gesamten Dauer der Veranstaltung die unbedingt persönliche Atmosphäre, die liebevolle Wärme unter den Teilnehmer*innen, ob langjährige Mitglieder wie Alain Foix und Jessica Litwak oder Besucher wie Mitarbeiter von 7 Stages oder Autor*innen aus Atlanta. Als wäre es gar nichts, dolmetscht Amelia Parenteau durchgängig für die französischen Gäste. Die Organisation vor Ort wird von Rachel Parish, Michael Dove und Lee Osorio, ohne die überhaupt nichts stattgefunden hätte, perfekt bewältigt. Herzlichen Dank dafür! Als ich vor dem Ende abreise, verpasse ich leider Jessicas Stück THE NIGHT IT RAINED, das bei einer der „Scratch Work“-Sitzungen gelesen wird. Ich will nicht weg – aber die nächsten Treffen sind bereits geplant. Ich freu mich drauf!
[alle Bilder: Rechte bei Henning Bochert]
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