Klima im Drama
Ich lese David Wallace-Wells’ Buch The Uninhabitable Earth (Die unbewohnbare Erde), in dem er sich klipp und klar mit den Auswirkungen der derzeitigen katastrophalen klimatischen Veränderungen auf das Leben der Menschen auf der Erde befasst. Das Buch ist beängstigend.
Das Buch hat Jim Grimsley zu seinem Theaterstück Cascade inspiriert, das im April 2022 im Rahmen der Process Series an der UNC in Chapel Hill, North Carolina, von Joseph Megel uraufgeführt wird. Dieses Stück soll in Europa in meiner Übersetzung auch auf Deutsch zu sehen sein.
Nach Karen Malpedes Other Than We (Anders als wir) und Dawn Kings The Trials (Das Tribunal) Anfang 2021 ist Cascade das dritte Stück, das ich übersetze, welches sich explizit mit den Folgen der klimatischen Veränderungen für die menschliche Bevölkerung befasst.
Dawn King – Das Tribunal/The Trials
In ihrem Stück zeichnet Dawn King in der nächsten Generation eine notwendig weniger individualistische Gesellschaft, in der drastische Maßnahmen die Versorgung der Menschen mit den zu knappen Ressourcen in einer wenig lebenstauglichen Atmosphäre sichern sollen. Dafür muss jede und jeder ein anderes Leben führen, das mehr am Gemeinwohl orientiert ist. Soziale und ökologische Arbeitseinsätze bestimmen das Leben. Die Jugend hat sich bereits daran gewöhnt, sie kennt nichts anderes. Die unverantwortlichen Gewohnheiten der Vergangenheit („Was ist Kalbfleisch?“) sind vergessen.
Zu diesem Leben gehört auch der Umgang mit der Verantwortung der Generation ihrer Eltern (als unserer derzeitigen in den 2020-er Jahren) für die Klimakatastrophe in Form von Massenprozessen. Das Stück ist ein Gerichtsdrama, in dem die junge Generation über die ältere zu Gericht sitzt.
In knappen Schlagabtäuschen, unterbrochen von drei Monologen der Angeklagten, diskutiert die Geschworenenjury die Argumente der Erwachsenen. Die Kinder und Jugendlichen beleuchten leidenschaftlich, radikal, aber auch überfordert die unterschiedlichsten Perspektiven, praktischen und philosophischen Aspekte der Ethik eines Lebens, das der Homo sapiens für sich selbst sabotiert hat.
Die Uraufführung fand am 15.01.2022 am Düsseldorfer Schauspielhaus statt, Regie: Adrian Figueroa. (Mehr in anderen Beiträgen.)
Karen Malpede – Anders als wir/Other Than We
Karen Malpede wählt eine deutlich entfernte Zukunft. Von der Menschheit ist nicht mehr viel übrig, und die wenigen Exemplare leben in autoritären Gesellschaften unter Kuppeln mit künstlichem Klima. Die Welt draußen ist verseucht, so jedenfalls die Behauptung des Regimes, das die Kontrolle wahren will. Zwei Wissenschaftlerinnen entwerfen körperliche und genetische Lösungen. Mit einem Helfer werden sie schwanger, flüchten aus der Gesellschaft und geben diese genetischen Eigenschaften ihren eigenen Kindern mit, die dann das Erbe der Menschheit antreten.
Malpede malt, basierend auf evolutionswissenschaftlichen Theorien Noam Chomskys, das Bild einer genetisch veränderten Art, die es möglich macht, dass zwar nicht die Menschen, aber etwas ihnen Ähnliches in einer für „uns“ nicht mehr bewohnbaren Welt fortlebt.
Malpede bedient sich in ihrem Stück einer für den englischsprachigen Theaterraum ausgesprochen ungewöhnlichen Sprache. Sie macht Sprache selbst zum Gegenstand ihrer Gedanken über Evolution (vgl. Chomsky). Wie ein Bezugspunkt wirken hier die halbvergessenen Anfänge des amerikanischen Dramas, nämlich Susan Glaspells The Verge, in dem die Botanikerin Claire mittels Pflanzenzucht etwas kreieren möchte, in dem die Pflanzen sich auch grundlegend in etwas anders entwickeln. Glaspells expressionistische Sprache findet Eingang in Malpedes Stück.
Mit ihrer Vision, dass die Protagonistinnen die selbstgesetzte, aber auch naturgegebene Mission der Arterhaltung erfüllen, wählt Malpede den vielleicht konsequentesten Weg dieser drei Texte. Wie in Brechts Lehrstücken üben sie sich in Einverständnis mit dem Notwendigen und entscheiden sich für eine Maßnahme, die der Entwicklung (um den problematischen Terminus „Fortschritt“ zu vermeiden, der die Lage über das 19. und 20 Jahrhundert erst geschaffen hat) nützt und aber auch das Opfer der Einzelnen fordert. Der amerikanische narrative Topos der Familie wird hier übersetzt in eine Gesellschaft von Schicksalsgefährt*innen, die aber tatsächlich die Art fortpflanzen, so dass die glücklichen Mütter angesichts des Gedeihens ihrer Nachkommen und zugleich die glücklichen Wissenschaftlerinnen angesichts des Gelingens ihres Experiments freudig den eigenen Tod in Kauf nehmen können.
Jim Grimsley – Kaskade/Cascade
In Grimsleys Stück schließlich steht die Flucht aus unbewohnbarem Regionen im Mittelpunkt. In der Mitte des 21. Jahrhunderts ist es in den äquatornäheren Breitengraden zu heiß geworden. Wie Millionen andere Menschen ziehen ein Vater und seine Tochter als Klimaflüchtlinge durch Nordamerika nach Norden. Auf ihrem Weg verlieren sie sowohl seine alte Mutter als auch den Anschluss an die Karawane. In den Bergen treffen sie auf eine Klimaforscherin und ihren Sohn, die schon einige Jahre früher in höhere Lagen gezogen sind.
In den Berichten der Figuren über ihre Reise werden die ziehenden Massen beschrieben. Die emotionalen und physischen Kosten der Wanderung, die psychologischen und praktischen Schwierigkeiten eines Lebens unterwegs werden deutlich, und die Karawanen, in die man sich für Geld einkaufen kann, erinnern an die Trecks der frühen 1930er Jahre, als nach der Wirtschaftskrise eine immense Dürre die Landwirte aus Kansas, Oklahoma und anderen Staaten der „Dust Bowl“ des Mittelwestens mittellos nach Westen trieb, vor allem nach Kalifornien, wo ihnen nicht Willkommen und Hilfe, sondern Widerstand entgegenschlägt.
Solche Ablehnung und Feindschaft findet sich auch im Stück: Die Nachbarn auf dem Berg sind feindlich, wahrscheinlich war der Jagdunfall des Vaters viel mehr schlichter Mord. Als der verschollene Hund im Stückverlauf erschossen aufgefunden wird, beschließen die beiden Teilfamilien, gemeinsam weiter nach Norden zu ziehen. Was mit der Ausnahme des Vertrauens bei der ersten Begegnung begann, vermittelt in diesem Entschluss die Botschaft, dass Menschlichkeit und Solidarität die Möglichkeiten sind, angesichts der uns alle gleichermaßen bedrohenden Katastrophe die Überlebenschancen zu erhöhen und die Würde zu wahren.
Climate change isn’t something happening here or there but everywhere, and all at once. And unless we chose to halt it, it will never stop.
David Wallace-Wells, The Uninhabitable Earth
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