Presse AM BODEN
Wolfgang-Borchert-Theater Münster:
Hannah Sieh, sitzend auf einer Bühnenkonstruktion, die halb an ein Gefängnis, halb an einen Container erinnert, beginnt zu erzählen. Sie ist stolze Pilotin und liebt es, im Kampfeinsatz zu sein. „Allein in der Leere“, beschreibt sie das Gefühl, das sie überkommt, sobald sie sich mit ihrem „Tiger“ in die Lüfte schwingt. […] Die Schrecken des Krieges? Verklärt in der patriotischen Überzeugung, das Richtige zu tun. Es gibt die Guten und es gibt die Bösen. Sie steht selbstverständlich auf der Seite der Helden. […]
Es dauert jedoch nicht lange, dann ist dieses Kapitel ihres Lebens beendet. Die Pilotin wird schwanger, heiratet und wird künftig an der Steuerung einer unbemannten Drohne eingesetzt. […] Die Dinge geraten aus dem Ruder. […] Dies ist kein Computerspiel, es sind echte Menschen, deren herum fliegende Körperteile durch die Kamera noch zweifelsfrei zu erkennen sind. […]
In der punktgenauen Inszenierung von Meinhard Zanger, der[…] auch für Bühne und Kostüm verantwortlich zeichnet, erwacht der Monolog nun zum Leben. Gewehrsalvengleich feuert Hannah Sieh den Text über die Rampe, wechselt präzise von der Erzählebene in die von der Figur zur Sekunde erlebten Realität. […] Je mehr sie sich bemüht, die Struktur ihrer Routine zu halten, desto stärker verschwimmt ihre Wahrnehmung, desto mehr verschwindet auch die Distanz zum eigentlichen weit entfernten Kriegsgebiet. Maßgeblicher Aspekt in der Inszenierung ist auch die Lichtregie, bereichert durch Videoeinspielungen von Alexander Ourth. Ein eigenes fürs Borchert Theater entwickeltes digitales Modell der Drohne sowie Kamerabilder, die die Perspektive der Pilotin auf einige Bühnenelemente und die Rückwand zaubern, schaffen im abstrakten Raum klare Verortungen.
Nach eineinhalb Stunden Erstaunen im Saal: Die Zeit verging wie im Fluge. Eine grandiose Inszenierung, die zeigt wie tief berührend hoch politisches Theater sein kann. […]
Alles Münster, 14.12.15
Sie war so stolz auf ihren Job. Durch das Blau fliegen, Ziele anvisieren, der Gefahr feindlicher Abwehr ausweichen, als Frau im F 16 ein ganzer Kerl sein. Doch jetzt, nachdem sie einen Mann gefunden und ein Kind geboren hat, darf sie nicht wieder ins Flugzeug zurück. Denn die Kriegszeiten haben sich geändert, und nun sitzt sie […] vor einem Monitor mit der Hand am Joystick, steuert eine Drohne und zerstört per Knopfdruck Fahrzeuge und Menschen in einem fernen Erdteil.
„Am Boden“ (Grounded) ist ein Solostück des Amerikaners George Brant, das genau in die aktuelle politische Lage passt. Denn die Pilotin […] erleidet beim distanzierten Töten im Team einen größeren psychischen Schaden, als wäre sie direkt mit dem Kampfflugzeug unterwegs. Ihre Autofahrten durch die Wüste bei Las Vegas und das Bild ihrer kleinen Tochter vermischen sich schließlich mit den Bildern auf dem Monitor: Sie glaubt, ihr eigenes Kind abzuschießen. […] Im Zentrum steht die Psyche der Pilotin: wie sie zunächst auf rustikale Art mit sich im Reinen ist und durch den Krieg vom Bürosessel aus zerbricht.
Meinhard Zanger hat das als Regisseur und Ausstatter mit den Videos von Alexander Ourth auf fantasievolle Weise ins Bild gesetzt: ein Gerüst, eine Zielvorrichtung, ein Käfig beherbergt und beherrscht die Heldin. Deren Textfluten hat sich Darstellerin Hannah Sieh in einer Weis angeeignet, die man gar nicht genug bestaunen kann: Ihr zeitweiliges Maschinengewehr-Stakkato kann schlagartig zu den zartesten Tönen wechseln, wenn es um die Familie geht – und wenn sie vom Bürostuhl aus auf den imaginären Monitor den einäugigen Propheten verfolgt, den es zu töten gilt, ist das mindestens so aufregend wie in jenen Filmen, die Hollywood den Kriegstreibern entgegensetzt. Grandios.
Westfälische Nachrichten, 11.12.15
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