WALLS. IPHIGENIA IN EXILE am DT
Die Produktion ist so aufwändig wie vielfältig: vier Autor*innen, fünf Regisseurinnen und Regisseure und ein kleines Ensemble aus deutschsprachigen und koreanischen Darsteller*innen hat den Abend in Korea und Deutschland produziert, darüber hinaus ein Videokünstler und eine Puppenbauerin.
Die sechs Szenen beleuchten Aspekte der Teilung in Deutschland und Korea. Nicht allein durch die kurzen Handlungen gestaltet sich der zweistündige, strahlende Abend vielfältig. Ein von der spröden Nachtkritik vermisster roter Faden hätte ja gerade gekittet, was hier an Differenzen im Dialog zwischen zwei sehr unterschiedlichen Ländern, Historien und Biographien aufscheint. Auf dem Spannungsfeld zwischen den Achsen Teilung und Sehnsucht sind die so vielfältigen Aspekte platziert. Das gelingt hervorragend, und die verblüffenden theatralen Mittel lassen genau da aufhorchen, wo die Nachtkritik fälschlicherweise von Verfremdungseffekten spricht. Ist es doch gerade das Fremde, das hier in Berührung gebracht und uns nahegebracht wird.
In atemberaubenden Leistungen des in jeder Hinsicht gemischten Ensembles fällt leider bestenfalls die Bowie-Anekdote von Sabine Waibel aus dem formalen Rahmen, vor allem der dünnen Form halber. Unglücklicherweise auch noch als Schlusslicht nach der hervorragenden, von Tilmann Köhler inszenierten und von Salazar geschriebenen Passage IPHI-GENIE, in der eine Prostituierte aus Nordkorea die schmerzhafte Trennung von ihren Kindern zerreißt, so dass sie für die zärtlichen Annäherungsversuche ihres Freiers Park nicht empfänglich ist. Ihr Verhaftetsein in der Trauer und Verhärtung im Schmerz, ihre Unnahbarkeit zeigt sich in ihrer Doppelgestalt als Puppe und Mensch.
In der MAILORDER BRIDE (VERSANDHAUS-BRAUT) genannten, wohl dichtesten Szene des Abends zaubern Regisseur Kon Yi, die gloriose Kotti Yun als maskierte Puppenspielerin und Helmut Mooshammer sowie Sabine Waibel und Hyun Jun Ji als Puppen-Paar ein komplexes Spiel der Widersprüche. Die Puppen-Menschen spielen Goethes IPHIGENIE als köstliche, mechanische Groteske, während die Puppenspielerin, selbst durch eine Maske versteift, im Dialog mit dem Video die Geschichte einer Vietnamesin erzählt, die sich ihre Rolle als Ehefrau des nicht geliebten koreanischen Mannes schönträumt. Selten ist auf deutschen Bühnen die Körperlichkeit zu sehen, mit der das Ensemble atemberaubende Gegensätze aufbaut: einerseits in den nach klassisch-idealistischem Vorbild dargestellten Ideen-Figuren, die zwischen Pflicht und Neigung stecken; andererseits zwischen dieser und der gegenwärtigen, vielschichtigen Erzählebene. Die nicht-psychologische Darstellung wird damit erstens dramaturgisch gerechtfertigt und zweitens über die Figur im Video erläutert.
Nicht alle Szenen können gleichermaßen überzeugen, so verliert sich die Szene RITUALE in einer expressiven, wenig erhellenden Form. Die mehrsprachigen Herausforderungen werden auf vielfältige Weise gelöst: in der ersten Szene ASYL ist die Rolle der Dolmetscherin, die sich in den Asylvorgang einmischt, bereits in die Handlung eingebaut. Andere Szenen arbeiten mit großzügig projizierten Titeln, wechselnd auf Koreanisch und Deutsch, wobei Dialoge häufig zweisprachig geführt werden. Oder mit direkter Übersetzung wie im Beispiel oben, indem entweder eine Darstellerin den Kollegen dolmetscht oder eine Person die wichtigsten Inhalte ihres eigenen Textes jeweils in der anderen Sprache wiederholt.
In IPHI-GENIE blitzt die sprachmittlungstechnisch schönste Szene auf, wenn am Schluss die Darstellerin Kotti Yun ihren Kollegen Hyun Jun Ji, der sie als Puppe auf dem Schoß hält, ihrerseits als Puppe führt und sein Koreanisch ins Deutsche verdolmetscht. Eine hervorragend transparente, sinnfällige Mehrfachinterpretation.
Weitere Termine im November
Deutsch-koreanische Koproduktion, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.
Koproduktion mit dem Goethe-Institut Korea, dem Asia Culture Institute und The Walls Committee, veranstaltet im Asia Culture Center, unterstützt vom Arts Council Korea in Zusammenarbeit mit Producer Group DOT
Regie ZinA Choi, Tilmann Köhler, Kyungsung Lee, Jungung Yang, Kon Yi
Bühne / Kostüme Karoly Risz
Video / Sound Daniel Hengst
Dramaturgie Sonja Anders, Ulrich Beck, Danbi Yi
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